Die Speicherindustrie steht seit Jahrzehnten vor einem fundamentalen Kompromiss: Schneller Arbeitsspeicher verliert seine Daten beim Stromausfall, während persistente Speicherlösungen deutlich langsamer arbeiten. Das britische Unternehmen Quinas Technologies, eine Ausgründung der Lancaster University, behauptet nun, mit seiner UltraRAM-Technologie dieses Dilemma gelöst zu haben. Nach eigenen Angaben ist die Technologie jetzt erstmals bereit für die Serienproduktion.
Quantenmechanik trifft auf Speichertechnik
Das Funktionsprinzip von UltraRAM basiert auf einer Weiterentwicklung bekannter Speicherkonzepte. Ähnlich wie bei NAND-Flash wird Information durch das Vorhandensein oder Fehlen von Elektronen in einem isolierten Bereich gespeichert. Der entscheidende Unterschied liegt in der Barriereschicht zwischen dem Leitungskanal und dem speichernden Bereich.
Während herkömmliche Flash-Speicher eine einzelne, möglichst dünne Barriere verwenden, setzt UltraRAM auf eine komplexe Dreifachbarriere-Struktur aus Aluminium-Antimonid und Indium-Arsenid. Diese sogenannte Triple Barrier Resonant Tunneling (TBRT) Struktur ermöglicht es, die normalerweise hochresistive Barriere durch Anlegen einer Spannung von lediglich 2,5 Volt in einen leitfähigen Zustand zu versetzen.
Der physikalische Mechanismus dahinter ist das quantenmechanische Phänomen des resonanten Tunnelns. Die Quantenzustände in den ultradünnen Schichten der TBRT-Struktur können durch präzise Spannungssteuerung so ausgerichtet werden, dass Elektronen schnell und energieeffizient die Barriere überwinden können.
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Industrielle Skalierung als Durchbruch
Ein Meilenstein für die UltraRAM Technologie wurde durch die Zusammenarbeit mit dem Halbleiterhersteller IQE erreicht. Das Unternehmen entwickelte über ein Jahr hinweg ein industriell skalierbares Epitaxie-Verfahren für die komplexen Verbindungshalbleiter-Strukturen von UltraRAM. Epitaxie bezeichnet das kontrollierte Aufwachsen kristalliner Schichten auf einem Substrat, wobei die aufgebrachte Schicht die Kristallstruktur des Untergrunds übernimmt.
Jutta Meier, Geschäftsführerin von IQE, bezeichnete die Entwicklung des skalierbaren Epitaxie-Prozesses als Meilenstein auf dem Weg zur industriellen Produktion. Das Verfahren ermöglicht es erstmals, die an der Universität entwickelten Materialstrukturen in einem industriellen Maßstab herzustellen. Quinas und IQE prüfen nun weitere Schritte zur Industrialisierung und Pilotproduktion in Zusammenarbeit mit Foundries und strategischen Partnern. Die britische Innovationsagentur Innovate UK unterstützte das Projekt mit Fördermitteln.
Beeindruckende Leistungsdaten im Labor
Die von Quinas veröffentlichten Leistungsdaten sind durchaus beeindruckend: UltraRAM soll Schaltzeiten von 100 Nanosekunden bei einem Energieverbrauch von weniger als einem Femtojoule erreichen. Dies wäre deutlich energieeffizienter als jede bekannte Speichertechnologie. Die Datenretention wird mit über 1000 Jahren angegeben, die Haltbarkeit soll bis etwas das 4000-fache von NAND-Flash erreichen. Besonders interessant ist die behauptete Elimination des bei DRAM notwendigen Refresh-Vorgangs. Da UltraRAM die Daten ohne kontinuierliche Stromversorgung hält, entfällt der permanente Energieverbrauch für die Datenerhaltung, der bei herkömmlichem Arbeitsspeicher anfällt.
Trotz der vielversprechenden Eigenschaften bleiben teils erhebliche Zweifel an der praktischen Umsetzbarkeit bestehen. Die bisher veröffentlichten Messdaten stammen von Prototyp-Speicherzellen mit Strukturgrößen von 10 bis 20 Mikrometern. Die beworbenen Leistungswerte für kommerzielle Anwendungen basieren auf mathematischen Extrapolationen auf moderne Fertigungsgrößen im Nanometerbereich. Die Geschichte der Halbleiterindustrie zeigt, dass solche Hochrechnungen oft nicht der Realität standhalten. Bei der Miniaturisierung treten regelmäßig neue physikalische Effekte auf, die ursprüngliche Konzepte zum Scheitern bringen können. Zudem ist die komplexe Dreifachbarriere-Struktur vermutlich deutlich kostspieliger in der Herstellung als herkömmliche Speicherzellen.
Markteinführung hat große Hürden
Selbst wenn die technischen Herausforderungen gemeistert werden, steht UltraRAM vor erheblichen Markthürden. Die etablierte Speicherindustrie mit Unternehmen wie Samsung, Micron und SK Hynix kontrolliert komplexe Lieferketten und verfügt über jahrzehntelange Optimierungserfahrung bei Herstellungsverfahren. Für eine erfolgreiche Markteinführung müsste UltraRAM nicht nur technische Überlegenheit demonstrieren, sondern auch eine wirtschaftlich tragfähige Massenproduktion etablieren. Dies erfordert Investitionen in Milliardenhöhe für moderne Fertigungsanlagen. Partnerschaften mit etablierten Herstellern sind daher unumgänglich.
Zusätzlich würde eine flächendeckende Einführung von UltraRAM größere Anpassungen in Hardware und eventuell auch Betriebssystemen erfordern, da sich das Funktionsprinzip ja grundlegend von klassischem DRAM unterscheidet. Weniger kompliziert dürfte der Einsatz als Speichermedium für extrem schnelle SSDs sein, da diese ja auf einen Controller zwischen Computer und Speichermedium setzen. Rein theoretisch dürfte es mit der Technik allerdings auch möglich sein, die Aufteilung zwischen Arbeits- und Datenspeicher aufzuheben - ein Speicher für alles. Die Computerindustrie ist allerdings traditionell eher konservativ bei der Einführung neuer Speichertechnologien, da Kompatibilität und Zuverlässigkeit oftmals höhere Priorität haben. Von daher wird eine Einführung in Hardware für Endkunden in jedem Fall noch eine ganze Weile dauern.
Nichts desto trotz stellt UltraRAM zweifellos einen interessanten technologischen Ansatz dar, der theoretisch die Grenzen zwischen Arbeitsspeicher und persistentem Speicher aufheben könnte. Insofern darf man das ganze mit Spannung beobachten. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob aus den Laborergebnissen tatsächlich eine disruptive Speichertechnologie werden kann oder ob UltraRAM das Schicksal vieler anderer "revolutionärer" Speicheransätze wie beispielsweise Intel's Optane ereilen wird.
Quellen
QuInAs Technologies | Blocks and Files | Tomshardware
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